Einwohner: 27.712
Geburtstag: 1238 (schriftliche Ersterwähnung; im 10. Jahrhundert gab es dort schon einen slawischen Weiler, der aber nicht genügend Besorgtbürger aufwies, um eine Germanisierung des Slawenlandes aufzuhalten; so schnell kann’s gehen)
Bekannt für: Lage im Dreiländereck Deutschland-Polen-Tschechien a. k. a. letzte Ecke von Sachsen; Fastentücher; ein eigenes Gebirge mit einem schönen Berg
Zu Anfang dieses Beitrags möchte ich mich bei der Stadt Zittau dafür entschuldigen, dass ich es für ein kleines langweiliges Nest gehalten habe. So langweilig war es bei meinem zweiten Besuch gar nicht. Den ersten vergesse ich einfach. Er war sowieso eher eine Verkettung unglücklicher Umstände bestehend aus Regenwetter, einem Google-Maps-losen Mobiltelefon (für partiell orientierungslose Menschen, wie mich ist das die Hölle; wie habe ich bloß immer nach Hause gefunden) und allgemeiner Übellaunigkeit meinerseits.
Inhaltsverzeichnis
Das Kulturhistorische Museum Franziskanerkloster
Beim zweiten Mal war ich besser vorbereitet und wollte mir die Zittauer Fastentücher ansehen. Aber so richtig recherchiert hatte ich nichts, außer den Öffnungszeiten der Städtischen Museen Zittau. Und wegen dieser fehlenden Recherche hatte ich gedacht, die Fastentücher seien sowas wie ein Schweißtuch von Jesus. Ich hatte mich vorher schon darüber lustig gemacht, warum ich mir ein Stofftuch ansehen soll, in das Jesus möglicherweise vor 2000 Jahren reingeniest hat. An dieser Stelle nochmals ein dickes Sorry an Zittau. Ich nehme hiermit alle dummen Witze zurück und entschuldige mich für meine Bildungslücke.
Aber genau dafür sind Museen ja da, um kulturelle Bildungslücken zu füllen. Zittau besitzt nicht nur ein Fastentuch, sondern gleich zwei. Das Kleine Zittauer Fastentuch ist im Kulturhistorischen Museum Franziskanerkloster zu besichtigen.
Wissenswertes Wissenswertes über das Kleine Zittauer Fastentuch
– monumentale Kreuzigungsszene, umrahmt von mehr als 40 Symbolen der Passion, sog. Arma Christi
– 1573 von einem unbekannten Maler nach der Vorlage des Lütticher Künstlers Lambert Lombard (1505-1566) geschaffen
– einziges Fastentuch, dass von einer evangelischen Gemeinde in Auftrag gegeben wurde
– bis 1684 verhüllte es den Hochaltar in der Johanniskirche während der vorösterlichen Fastenzeit
– 1854 bis 1968 wurde es im Stadtmuseum ausgestellt
– 4,3 m x 3,4 m (15 m²)
– 1 von 7 Exemplaren des Arma-Christi-Typs weltweit
Die Stadtgeschichte
Das Museum Kirche zum Heiligen Kreuz
So, nun zum Großen Zittauer Fastentuch. Dieses kann man sich im Museum Kirche zum Heiligen Kreuz ansehen. Wer sich kulturell mal so richtig gönnen will, holt sich das Kombiticket für die Städtischen Museen Zittau (das kostet 8 Euro und ist somit billiger als jedes Kinoticket; außer man geht in den Regina Palast Leipzig zum Filme gucken, dann gleicht sich das ungefähr wieder aus, aber ich schweife ab).
Wissenswertes Wissenswertes über das Große Zittauer Fastentuch
– 90 Szenen des Alten und Neuen Testaments
– 1472 von einem unbekannten Meister geschaffen
– 1472 bis 1672 verhüllte es den Altarraum der Johanniskirche während der Fastenzeit
– ab 1672 im Franziskanerkloster aufbewahrt
– 1840 wurde es wiederentdeckt und als Leihgabe im Palais des Großen Gartens in Dresden ausgestellt
– 1873 wieder nach Zittau zurückgeholt
– 1933 letztmalige Ausstellung
– im Juni 1945 wurde es stark beschädigt, aber komplett erhalten geborgen
– 1994/95 Restaurierung
– seit 1999 wird es ausgestellt in der größten Museumsvitrine der Welt
– 8,2 m x 6,8 m (56 m²)
– 1 einzigartiges Exemplar
Wenn man sich schon eine Kombikarte holt, kann man sich auch noch die totale Gönnung geben und einen Audioguide ausleihen. Der ist kostenlos. Einen persönlichen Führer gibt’s auch. Der ist nicht kostenlos. Aber wenn man Glück hat, so wie ich, platzt man gerade in die Kirche, wenn eine Führung ist. Ich wurde höflich gebeten mich hinzusetzen, ruhig zu sein und zuzuhören. Diese Erläuterungen sind schon echt nicht verkehrt. Wenn man wie ich in einem postsozialistisch-atheistischen Haushalt aufgewachsen ist, hat man nur Bibel-Halbwissen. Mein Geschichtsstudium hat daran auch nicht viel geändert, weshalb ich bei religiöser Kunst meistens die Kunsthistorikerin meines Vertrauens zu Rate ziehe. Aber der nette ältere Herr hat’s in diesem Fall auch getan. Er beschrieb fast jedes Bildchen des Tuches. Zum Beispiel, dass die Erschaffung der Welt einen Tag länger als üblich dauerte, da Gott auch noch die vier Elemente schuf. Des Weiteren erzählte er noch viel zur Herstellung und zur wechselvollen Geschichte. Das Fastentuch wurde während des Zweiten Weltkriegs gestohlen und von sowjetischen Soldaten als Saunaabdichtung benutzt. Als sie abzogen, ließen sie es im Wald zurück. Ein Spaziergänger fand es zerrissen und nass und brachte es wieder in das Zittauer Museum. Aufgrund der Feuchtigkeit sind einige der 90 Bilder fast ausgewaschen und schwer zu erkennen. Bis es in den 1990er Jahren restauriert wurde, wurde das Tuch nicht ausgestellt.
Seit 1999 kann man das Tuch wieder in seiner ganzen Größe und fast vollen Pracht bewundern und die Museumsvitrine in der es sich präsentiert steht sogar im Guiness-Buch der Weltrekorde. Ich zweifle ja ein bisschen an der Aktualität dieses Rekordes. Denn das Pommersche Museum in Greifswald hat einen ziemlich großen Teppich und der wird auch in einer ziemlich großen Vitrine ausgestellt. Aber ich bin ja bloß ´ne Frau. Was weiß ich schon von Raumvolumen.
Abschließend möchte ich noch mein Highlight benennen. Neben den zwei bemalten Tüchern natürlich. Es kommt in der Gesamtpräsentation ein bisschen schlecht weg, aber ist trotzdem etwas Besonderes. Es handelt sich dabei um die Kirche zum Heiligen Kreuz in der das Große Fastentuch ausgestellt ist. Diese Kirche ist eine sogenannte Einsäulenkirche, das heißt das ganze Gebäude wird nur von einer Säule getragen. Auf diese Säule läuft man beim Betreten des Gebäudes direkt zu. Diese Kirchenart ist inzwischen sehr selten geworden. Als die Gemeinden anwuchsen und mehr Raum brauchten, hat man meistens die alte Bausubstanz abgerissen und ein größeres Gebäude, z. B. eine gotische Hallenkirche, gebaut. Die kleine, mehr als 600 Jahre alte Kirche hat auch eine ziemlich interessante Geschichte und sieht ein bisschen heruntergewirtschaftet aus, da sie während der DDR-Zeit leer stand und als Treffpunkt für Jugendliche diente, die darin Lagerfeuer anzündeten. Auch der die Kirche umgebende Friedhof ist ziemlich überwachsen und strahlt so einen wunderbaren morbiden Charme aus.
Zittau hat noch viel mehr zu bieten als diese zwei Fastentücher. Noch viele Kirchen und viele schöne restaurierte Häuser und deshalb bleibt mir am Ende dieses Beitrages nur zu sagen, „Heute ist nicht alle Tage…“ (wer nicht weiß, wie dieses Zitat weitergeht, hatte keine rosarote Kindheit).
Johannes Engst
Zufällig entdeckt und daran hängen geblieben… Es war schön, das alles so zusammengefasst gesehen zu haben. ich wohne seit 93 Jahren in der Gegend, habe alles Gezeigte schon mehrmals gesehen, aber mit den Erläutungen einer Fremden mit anderer Sicht auf die Dinge…es war einfach ein Genuss. Danke!
Cindy Hiller
Danke für den netten Kommentar!