Einwohner: 705
Geburtstag: 1913 (nein, ich habe die Zahl der Einwohner nicht mit dem Gründungsdatum verwechselt)
Bekannt für: einen Haufen Braunkohle und einen See
Ich sehe es einfach so, dass man nicht alles erhalten kann, nur weil es alt ist. Es kommt immer darauf an, in welchem Zustand sich die Gebäude bzw. Anlagen befinden und ob ein öffentliches Interesse daran besteht, diese zu erhalten. Wenn dem so ist, finde ich das natürlich toll, aber wenn es nicht so ist, kann ich, wenn auch oft zähneknirschend, damit leben. Denn das was zur Erhaltung historischer Stätten nötig ist, ist oft nicht in dem Maße vorhanden, in dem es nötig wäre. Gemeint ist natürlich Geld. Was sonst? Ein Rohstoff, der in der Kulturbranche sehr oft sehr knapp ist.
Die Energiefabrik
Achtung: Im Jahr der Industriekultur in Sachsen ist die Energiefabrik Knappenrode bis zum 16. Oktober 2020 wegen Umbaus geschlossen.
Wer aber über ein paar Einheiten des besagten Rohstoffes verfügt, kann ihn zum Beispiel in einen Besuch der Energiefabrik Knappenrode investieren, um etwas über einen anderen Rohstoff zu lernen. Gemeint ist die Braunkohle, deren Abbau die Lausitz landschaftlich geprägt hat und es immer noch tut.
Die Energiefabrik nutzt das Areal der ehemaligen Brikettfabrik, welches sich über 25 ha erstreckt. Die Anlage ist also definitiv nichts für Fußlahme. Für alle, die von einem Museumsbesuch mehr erwarten, als das bloße Ablaufen von Objekten, ist es die richtige Adresse. Ehe ich jetzt hier alles aufzähle, was es zu entdecken gibt und am Ende doch noch etwas vergesse, folgen hier nur meine Highlights.
Es gibt einen Schaustollen den man durchlaufen und sich wie ein richtiger Bergarbeiter fühlen kann. Man bekommt einen guten Eindruck davon, wie es ist, den ganzen Tag kaum Sonnenlicht zu sehen. Wenn man über 1, 60 m groß ist, ist auch die Stollenhöhe nicht gerade optimal für eine gesunde Körperhaltung. Die erwartete Kontaktaufnahme meiner Stirn mit den Stützbalken blieb glücklicherweise aus. Und falls sie doch eingetreten wäre, hätte mich der an der Kasse ausgegebene Schutzhelm hoffentlich vor Beulen bewahrt. Den Schutzhelm benötigt man auch beim sogenannten FabrikErlebnisRundgang. Auf sieben Etagen erfährt man, welche industriellen Schritte notwendig sind, damit aus der abgebauten Braunkohle ein Brikett wird. Neben den immer noch funktionstüchtigen Maschinen stehen Hörstationen mit Zeitzeugenberichten der ehemaligen Arbeiter. Die authentische Zeitreise wird abgerundet durch den Fabrikgeruch, welcher immer noch in der Luft hängt und wohl nie verschwinden wird.
Sehr niedlich ist auch die Ausstellung „Heiß geliebt“, in der Sachsens größte Öfen- und Feuerstättensammlung präsentiert wird. Es handelt sich dabei um die Privatsammlung eines ehemaligen Schornsteinfegermeisters, die ca. 700 Objekte umfasst, von denen 120 ausgestellt werden. Es gibt wahrscheinlich nichts, was man nicht sammeln kann. Darin sind Deutsche ja irgendwie Meister, habe ich mal gehört. Nichtsdestotrotz ist die Sammlung wirklich sehr schön und Kamin und Ofen sind als Heizgeräte gerade wieder en vogue. Wer also noch stilistische Anregungen braucht, kann da ruhig mal hineinschauen.
Die vielen Räume und Häuser der Anlage werden noch für andere Ausstellungen genutzt und bieten auch der modernen Kunst ihren Raum.
Es wird sich aber auch mit der Geschichte der Region beschäftigt, kurz bevor hier Kohle abgebaut werden konnte. Von 1928 bis 1983 wurden acht Ortschaften umgesiedelt und abgerissen, um u. a. die Tagebaue Werminghoff I und II zu eröffnen. Es waren zum großen Teil Bauern, die dann später in den Gruben arbeiteten. Gerade die Thematik der umgesiedelten Ortschaften aus wirtschaftlichen Gründen lässt die Problematik des Heimatbegriffs mal wieder aufleuchten. Wie muss das sein, wenn einem die Existenzgrundlage entzogen wird oder die Abrissbirne durch das Haus schwingt, in dem man sein Leben lang gewohnt hat? Ist es die Zerstörung einer ganzen Kulturlandschaft und von Flora und Fauna wert, wenn dadurch im Gegenzug viele neue Jobs entstehen und die Region einen wirtschaftlichen und technischen Aufschwung erfährt? Über diese und viele andere Fragen kann man sich gerne mal den Kopf zerbrechen, wenn man an einem der vielen gefluteten Restlöcher sitzt, die inzwischen zum Lausitzer Seenland gehören.
In diesem Sinne, Glück auf.
Historischer Abriss
01. Januar 1887 | Gründung der Eintracht Braunkohlenwerke und Brikettfabriken AG durch Joseph Werminghoff in Berlin |
1913/14 | Gründung der Arbeitersiedlung Werminghoff mit Grube, Brikettfabrik und Bahnhof; eingeleitete Maßnahmen zum Aufschluss des Tagebaus durch 1. WK unterbrochen |
August 1917 | Förderung der ersten Rohkohle aus Werminghoff I |
1938 | Förderung der ersten Rohkohle aus Werminghoff II |
März 1945 | Werminghoff I ausgekohlt |
1951 – 1953 | gezielte Flutung von Werminghoff I führte zu Entstehung des Knappensees |
1950 | Umbenennung der Ortschaft in Knappenrode |
25. Januar 1993 | Stilllegung der Brikettfabrik |
18. Juni 1994 | Eröffnung der Energiefabrik Knappenrode |