Einwohner: 1.363
Geburtstag: 1269
Bekannt für: Leichenfinger, ein Barockschloss und ein Wappen, welches einen Otter mit resting bitch face zeigt
Da mein Bewegungsradius derzeit stark eingeschränkt ist, ist das die perfekte Möglichkeit, um meine liebsten Leipziger Umlandsdörfer vorzustellen. Was diese Dörfer zu meinen Lieblingen macht, ist oft nicht so richtig zu erklären, aber es gibt einige Kriterien, die alle nahezu ausnahmslos erfüllen: freundliche Menschen, unerwartete Kulinarik, ein nettes Schloss und irgendwas einzigartig Schrulliges.
Alle diese Punkte treffen beispielsweise auf den Ort Otterwisch südöstlich von Leipzig zu. Leider ist dieses wunderbare Dorf mehr als fünfzehn Kilometer von mir entfernt und damit zurzeit unerreichbar. Ich hoffe, allen dort geht’s gut.
Inhaltsverzeichnis
Das Schloss
Wenn man Otterwisch auf der Hauptstraße durchfährt, kommt man unweigerlich am Schloss vorbei, ohne es wirklich zu sehen. Denn es versteckt sich hinter einem nicht so schön anzusehenden Torhaus. Wenn man es durchschreitet steht man inmitten des immer noch geschlossenen ehemaligen Gutshofs. Der Blick fällt auf ein dreiflügeliges Barockschloss in zarten Pastelltönen.
Bevor das Barockschloss im 18. Jahrhundert gebaut wurde, befand an dieser Stelle eine Wasserburg und später ein Herrenhaus, welches auf einer Insel gelagert war. Das Rittergut hatte viele verschiedene Besitzer und jeder versuchte sich am Bau einer schöneren Residenz.
Der Rittergutsbesitzer Hans Friedrich von Metzsch, dessen Familie Otterwisch seit dem Jahr 1660 besaß, baute sich im Jahr 1694 ein neues Herrenhaus in Groitzsch. (Anm.: Ob es sich dabei um die ca. 35 Kilometer entfernte Kleinstadt handelt, konnte ich noch nicht herausfinden. In Otterwisch wird bis heute auch das sogenannte „Groitzschfest“ gefeiert.)
Allerdings hat er an der neuen Residenz wohl nicht lange Freude gehabt, denn ab dem Jahr 1721 gehörten die Besitzungen der Familie von Ponickau. Johann Christoph von Ponickau (1652-1726) wollte ein neues Schloss in Otterwisch bauen lassen. Für den Neubau wurden die Steine des noch gar nicht so alten Groitzscher Herrenhauses herangeschafft. (Anm.: Für die recycleten Baumaterialien habe ich zwei verschiedene Angaben gefunden, entweder das Groitzscher Herrenhaus war bereits verfallen oder es wurde nie fertiggestellt. Nähere Informationen sind gewünscht.)
Doch die Ponickaus kamen mit dem Bau nicht weit über die Fundamente hinaus. Im Jahr 1727 wurde das Rittergut samt Baustelle an die Gräfin Rahel Charlotte Vitzthum von Eckstädt (1676-1753) verkauft. (Anm.: Die Grafenfamilie besaß unter anderem das Barockschloss Schönwölkau nördlich von Leipzig.) Möglicherweise veranlasste sie der Tod ihres Mannes während eines Pistolenduells ein Jahr zuvor zum Umzug. Unter der Gräfin wurde das Schloss bis 1730 vollendet. Den Entwurf für das barocke Schmuckstück lieferte der Architekt David Schatz (1667-1750).
Bis zum Jahr 1945 war das Schloss in verschiedenen adeligen Händen. Von 1944 bis 1945 diente es außerdem als Evakuierungsort für das Schweizer Konsulat in Leipzig, unter Hans Max Hürzeler (1896-1949). Während der DDR-Zeit hatte das Schloss viele verschiedene Nutzungen inne, u. a. waren darin Wohnungen und ein Kindergarten untergebracht. Inzwischen befindet sich das Schloss in Privatbesitz und wurde bzw. wird aufwändig saniert. Die Fassade und Teile des Dachs sind bereits wieder in Stand gesetzt worden und lassen schon vieles von der einstigen Pracht erahnen.
Historischer Abriss des Ritterguts
vor 1517 | als Vorwerk im Besitz des Augustinerklosters Grimma |
1517-1581 | im Besitz der Herren von Hirschfeld |
1581-? | im Besitz Herren aus dem Winkel |
um 1660-1721 | im Besitz der Herren von Metzsch |
1721-1727 | im Besitz von Johann Christoph von Ponickau |
1725-1730 | Bau des Barockschlosses |
1727-1779 | im Besitz Grafen Vitzthum von Eckstädt |
1779-1852 | im Besitz Fürsten von Schwarzburg-Sondershausen |
1852-1868 | im Besitz von Johann Dietrich Ludwig Bohne |
1868-1882 | im Besitz von Frederic Shears |
1882-1945 | im Besitz der Familie von Arnim |
1944-1945 | Evakuierungsort des Schweizer Konsulats in Leipzig |
1945-? | unterschiedliche Nutzungen |
1999-2001 | im Besitz der Gemeinde Otterwisch |
seit 2001 | in Privatbesitz |
Der Schlosspark
Die Grünanlage gleicht einer großen Wiese, aber es hat den Anschein, als ob die Parkarchitektur wiederhergestellt wird. Der Park wurde zwischen 1752 bis 1754 umgestaltet. Dafür verantwortlich war der Architekt Friedrich August Krubsacius (1718-1789). Cornelius Gurlitt (1850-1938) benennt Krubsacius im Heft 20 seiner „Beschreibenden Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen“ als Architekten der gesamten Schlossanlage, was mit Blick auf das junge Alter desselben recht unwahrscheinlich ist.
Die Dorfkirche
Die ältesten Bauteile der Kirche stammen aus dem 13. Jahrhundert. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde die Kirche großzügig umgebaut. Während dieser Zeit entstand auch der für den kleinen Sakralbau recht hohe Kirchturm.
Das Backwaren & Stehcafé Yvonne Nevrly
Otterwisch hat tatsächlich eine kulinarische Köstlichkeit zu bieten, die in dieser Region wahrscheinlich jeder kennt: den Sauermilchkäse, auch als „Leichenfinger“ bekannt. Den Käse kann man bei vielen regionalen Händlern kaufen, aber bei niemandem bekommt man ihn mit so viel freundlicher Expertise verkauft, wie bei Frau Nevrly. Ich habe leider kein Foto vom Käse. Ich fotografiere – Schockschwerenot – doch nicht alles, was ich esse.
Das Café Miami
Natürlich ist dieses Etablissement derzeit verschlossen, aber mich würde wirklich interessieren, ob es prä-corona überhaupt noch geöffnet hatte. Über Erfahrungsberichte würde ich mich freuen.
(K)Ein Otter zum Abschluss
Woher der Name „Otterwisch“ eigentlich stammt, ist nicht sicher überliefert. Ob es wirklich etwas mit dem putzigen Wassermarder zu tun hat, ist nicht bekannt. Kleine Gewässer zum Schwimmen wären im Dorf durchaus vorhanden. Trotz der nicht sicheren Quellenlage befindet sich ein Otter im Dorfwappen. Und dieser Otter ist wunderschön. Ich empfehle jedem/r, ihn sich in der Online-Enzyklopädie ihres/seines Vertrauens anzusehen. Vielleicht weiß ja jemand, aus welchem Renaissance-Gemälde er stibitzt wurde.
Klaus Döge
Hallo, zu Rittergutsbesitzer Hans Friedrich von Metzsch.
Der Groitzsch oder Gretsch genannt ist eine Stelle am nordlichen Eingang von Otterwisch. Dort sollte einst das Schloss stehen, aber man besann sich eines anderen Ortes so wurde der angefangene Bau Schafstall mit Schlosdcharakter. Brachte damals wohl viel Hohn ein. Später wurde das Schloss im Ort gebaut. Also nur zur Info.
Cindy Hiller
Vielen Dank für die ergänzenden Infos!
S. W. Müller
Hallo, Frau Hiller, bin sehr erfreut über Ihre Webside. Als Vorturner des Heimatvereins Otterwisch, interessiere ich mich natürlich für Alle und Alles, was sich mit unserem Dörfchen beschäftigt. Wenn Sie heute durch das Torhaus in Richtung Schloss gehen, werden Sie schon einige positive Veränderungen bemerken. Wenn Sie in dieser Sache auf den neuesten Stand sein möchten, schauen Sie doch mal auf unserer Webside: www. heimatverein-otterwisch.de. Ein erster Schritt ist gemacht. Wir arbeiten beharrlich an den nächsten. Im Übrigen; wir bereiten schon heute den nächsten Tag des offenen Denkmals vor. Dieses bunsdesweite Event findet, wie immer, am 2. Wochenende im September statt. Gern würde ich Sie dort persönlich begrüßen.
Bis dahin, herzliche Grüße und bleiben Sie gesund!
Siegfried W. Müller
Cindy Hiller
Sehr geehrter Herr Müller, vielen Dank für Ihren lieben Kommentar. Ich schaue natürlich gerne mal wieder in Otterwisch vorbei und komme auch sehr gerne zum Tag des offenen Denkmals zu Ihnen.