Geburtstag: 1225 (urkundliche Ersterwähnung als ‚oppidum‘)
Einwohner: 16.975
Bekannt für: Gotthold, Ephraim, Lessing
Sicher fallen mir, als jemandem, die in fast direkter Nachbarschaft zu dieser Großen Kreisstadt aufgewachsen ist, noch mehr Dinge zu Kamenz ein. Aber von meiner Leserschaft erwarte ich dies nicht. Interessanterweise schmückt sich noch ein anderes Provinzstädtchen mit dem Beinamen „Lessingstadt“. Vielleicht verschlägt es mich ja eines Tages auch dahin und dann kann ich vergleichen, wer mit dem Dichtererbe besser umgeht. Bis dahin ist Kamenz meine Lessingstadt No. 1.
Es ist übrigens sehr zu empfehlen, Städte zu besuchen, in denen man schon gefühlt hundertmal war, aber über die man eigentlich nichts weiß. Es gibt immer etwas zu entdecken.
Inhaltsverzeichnis
Die Lessing-Route
Das Lessinghaus
Neben der beinahe kultischen Verehrung von Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) und Friedrich Schiller (1759-1805) in der deutschen Literaturlandschaft, geht Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) beinahe unter. Dabei ist sein Werk nicht hauptsächlich von unangenehmen Altmännerfantasien geprägt, sondern hat an Relevanz so gut wie nichts eingebüßt. Nach dem Besuch des Lessingmuseums hatte ich auf jeden Fall wieder Lust etwas von ihm zu lesen, denn in der Ausstellung wird man mit allerlei schriftlichen Auszügen ziemlich gut angefüttert.
Das im Jahr 1931 eröffnete Lessinghaus beherbergt im Erdgeschoss das Museum und im Obergeschoss die Bibliothek. Die öffentliche Bibliothek hat eine lange Tradition in Kamenz. Seit dem Jahr 1860 war es den Einwohner*innen gestattet, Bücher kostenfrei auszuleihen.
Ol‘ Dirty Goethe schenkte der damaligen Stadtbücherei übrigens im Jahr 1821 den Gesamtbestand seiner Werke. Trotzdem haben die Kamenzer*innen ihm kein Denkmal errichtet. Sie hatten ja schon ihren eigenen Dichterfürsten.
Das Lessingdenkmal
Da Lessings Geburtshaus beim großen Stadtbrand des Jahres 1842 komplett zerstört wird, stellte man ihm zu Ehren im Jahr 1863 eine Büste auf. Geschaffen wurde sie vom Leipziger Bildhauer Hermann Knaur (1811-1872).
Der Volkspark
Hinter dem Lessinghaus schließt sich der Volkspark an. Wenn man den Menschenmassen entgehen möchte, die zur Rhododendrenblüte auf den Hutberg pilgern, ist der Park ein wunderbarer Fluchtpunkt. Denn auch hier stehen einige große Rhododendrenpflanzen, die man bewundern kann.
Seit dem Jahr 1998 schmücken den Park Skulpturen des Kamenzer Bildhauers Johannes Peschel (* 1931) und seiner Frau Eva. Sie stellen verschiedene Fabeln Lessings dar.
Die Lessinggedenkstätte
So wie in jeder anderen Stadt hat es auch in Kamenz oft gebrannt. Einer der letzten großen Stadtbrände wütete vom 4. bis zum 5. August 1842. Dabei gingen über 600 Häuser in den Flammen auf. Eines dieser Gebäude war das Geburtshaus von Lessing, in welchem er am 22. Januar 1729 das Licht der Welt erblickte.
An der Stelle befindet sich heute in direkter Nachbarschaft zur Kirche St. Marien eine Gedenkstätte für den Dichter.
Die weiteren Museen der Stadt
Das Museum der Westlausitz und die Stadtgeschichte im Malzhaus
Seit dem Jahr 1961 befindet sich ein Museum in einem der ältesten Bürgerhäuser der Stadt, dem sogenannten Ponickauhaus. Im Jahr 1968 wurde das Museum, welches sowohl stadtgeschichtliche als auch naturwissenschaftliche Sammlungen beherbergte, in „Museum der Westlausitz“ umbenannt. Im Ponickauhaus befindet sich heute die Dauerausstellung „Elementarium“, sowie verschiedene Sonderausstellungen. Das Museum ist hauptsächlich regional naturwissenschaftlich ausgelegt. Die Sonderausstellungen beschäftigen sich aber auch mit überregionalen Themen oder bieten Raum für andere wissenschaftliche Disziplinen, wie die Archäologie.
Über eine Brücke erreicht man das neben dem Ponickauhaus liegende Malzhaus. Darin befindet sich eine kleine Ausstellung zur Stadtgeschichte Kamenz‘. Beim Malzhaus handelt es sich wohl um den ältesten Profanbau in der Stadt.
Kamenz als Teil des Sechsstädtebundes
Im Außenbereich des Malzhauses finden sich noch kleine Erinnerungen an die Kamenzer Mitgliedschaft im Oberlausitzer Sechsstädtebund. Entlang der Promenade wurden Wappenschilder der anderen Mitglieder aufgestellt. (Über eine der sechs Städte habe ich bereits geschrieben.)
Der Bund wurde im Jahr 1346 zwischen Kamenz, Bautzen, Görlitz, Löbau, Lubań und Zittau gegründet. Von allen Städten galt Kamenz als die ärmste.
Die Klosterkirche St. Annen und das Sakralmuseum
Die heutige Klosterkirche war einst Teil eines Klosters der Franziskanerobservanten. Gestiftet wurde das Kloster von Vladislav II. (1456-1516), König von Böhmen und Ungarn. Das Kirche wurde in den Jahren 1493 bis 1512 erbaut. Das Kloster wurde nach der Reformation aufgelöst. Von 1565 bis 1926 wurde die Klosterkirche von den protestantischen Sorben benutzt, weshalb sie auch den Beinamen „Wendische Kirche“ trägt. Nach der Wende wurde das Gebäude saniert. Seit dem Jahr 2011 befindet sich in im großen Hallenschiff das Sakralmuseum, welches verschiedene Schnitzaltäre präsentiert. Direkt neben der Kirche befindet sich die Touristinformation von Kamenz. Um die Kirche herum wurden durch unterschiedliche Pflasterung die ehemaligen Ausmaße des Franziskanerklosters wieder sichtbar gemacht.
Die Kirchen
Die Hauptkirche St. Marien
Die Hauptkirche St. Marien entstand im 15. Jahrhundert und wurde wohl um das Jahr 1480 fertiggestellt. In dieser Kirche fand im Jahr 1527 die erste evangelische Predigt der Stadt statt. St. Marien ist auch die Taufkirche Gotthold Ephraim Lessings, dessen Geburtshaus sich in direkter Nachbarschaft befand. Sein Vater, Johann Gottfried Lessing (1693-1770), war seit dem Jahr 1724 Archidiakon von St. Marien und seit dem Jahr 1733 Pfarrer.
Die Kirche St. Just
Die Ursprünge der Kirche liegen irgendwo im 13. oder 14. Jahrhundert. Da das Gebäude an der Via Regia liegt, könnte es sich ursprünglich um die Jodukuskapelle für die Pilger*innen gehandelt haben, die im 15. Jahrhundert zu einer Begräbniskirche umgebaut wurde.
Das Rathaus und der Markt
Ein erstes Rathaus gab es wohl schon um 1225. Der Vorgängerbau des heutigen Gebäudes stammte aus dem 16. Jahrhundert, aber er verfiel mit der Zeit immer mehr, sodass man sich im 19. Jahrhundert zu einem Abriss inklusive Neubau entschloss. Den Abriss des alten Rathauses besorgte dann allerdings der schon erwähnte Stadtbrand von 1842 (sehr verdächtig). Für den Wiederaufbau war der Architekt und Schinkel-Schüler Carl August Schramm (1807-1869) verantwortlich. Das Rathaus wurde im Stil der Neorenaissance gebaut und ähnelt darin dem, ebenfalls von Schramm entworfenem, Zittauer Rathaus.
Um den Markt herum platzieren sich dann die typischen Gebäude. Die geschlossene Bebauung ist noch weitestgehend erhalten.
Die Fleischbänke
Hinter dem Rathausgebäude schließen sich baulich direkt die sogenannten „Fleischbänke“ an. Durch den Stadtbrand von 1842 brannten die ehemaligen Verkaufsstände der Fleischer, deren genauer vorheriger Standort nicht bekannt ist, ab. Die neuen Verkaufsgewölbe hinter dem Rathaus wurden ab 1843 errichtet. Der zweigeschossige Bau ist, wie das Rathaus, an Formen der italienischen Renaissance angelehnt. In den Jahren 1924/1925 wurden die Fleischbänke in Geschäftsräume umgewandelt und in das obere Geschoss zog die Stadtverwaltung ein. Nur noch die Fleischerhaken in den Gewölbebögen und die Tierköpfe an der Außenfassade erinnern an die ursprüngliche Nutzung dieses Gebäudes.
Der Andreasbrunnen
Auf drei Säulen, die an einen Galgen erinnern, steht Justitia. Der Brunnen wird geschmückt von drei Wappen: dem böhmischen, dem kaiserlichen und dem Kamenzer Stadtwappen. Der damalige Bürgermeister von Kamenz, Andreas Günther (1502-1570), ließ im Jahr 1570 diesen Brunnen aufstellen. Als Grund diente wohl die Rückgabe der oberen Gerichtsbarkeit an die Stadt durch Ferdinand I. (1503-1564), welcher nicht nur böhmischer König, sondern auch der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches war. Die Gerichtsbarkeit hatten alle Mitglieder des Sechsstädtebundes knappe zwanzig Jahre vorher beim sogenannten Oberlausitzer Pönfall eingebüßt.
Der Standort des Brunnens auf dem Markt ist nicht willkürlich gewählt. Der Markt diente oft als öffentliche Hinrichtungsstätte.
Wer den Brunnen baute, ist nicht überliefert.
Der Mönch auf der Grabplatte
An einem der Häuser, die um den Markt gruppiert sind befindet sich ungewöhnlicherweise eine Grabplatte. Die Grabplatte stammt aus dem Jahr 1504 und zeigt den Bürger Hans Wagner. Seit wann und vor allem warum die Grabplatte sich an der Hauswand befindet, ist nicht überliefert. Durch das lange Gewand und den Rosenkranz in der Hand des Mannes wurde er lange falsch als Mönch gedeutet. Um die Grabplatte ranken sich einige Legenden. So soll „der Mönch“ sich auf seiner Grabplatte rütteln und schütteln und sogar davon heruntersteigen und durch die Stadt wandeln, wenn in Kamenz ein Unglück bevorsteht.
Weitere Sehenswürdigkeiten
Der Pichschuppen
Zusammen mit dem benachbarten Malzhaus gehört auch der Pichschuppen zu den ältesten Gebäuden der Stadt. Ursprünglich war das Gebäude ein Teil der Stadtbefestigung und wurde um ca. 1600 als Bastion errichtet. Als die Befestigung in den folgenden Jahrhunderten Stück für Stück zurückgebaut wurde, nutzte man die Bastion um. Im Pichschuppen fand das Pichen, also das Abdichten von Bierfässern mit Pech, statt. Im Jahr 1919 brannte das Gebäude komplett aus und verlor dabei sein Dach, welches es erst bei der Sanierung im Jahr 1957 zurückerhielt.
Der Rote Turm
Ähnlich wie der Pichschuppen gehörte auch der Rote Turm einst zur Stadtbefestigung. Er war Teil der Toranlage am sogenannten Pulsnitzer Tor und wurde wahrscheinlich im 16. Jahrhundert errichtet. Später diente der Turm auch als Gefängnis. Als im 19. Jahrhundert alle Toranlagen zurückgebaut wurden, blieb der Turm davon allerdings verschont. In den 1860er Jahren brannte das Dach des Turmes ab. In den darauffolgenden Wiederaufbauarbeiten erhielt er seine heutige Gestalt.
Der Hutberg
Der Hutberg liegt am Rand des Stadtgebietes. Bereits im 15. bzw. 16. Jahrhundert wurde er als Weinanbaugebiet benannt. Der Name leitet sich ab von „Hüten“ bzw. „Behüten“. Entweder wird damit Bezug genommen auf den Umstand, dass sich auf dem Berg in früheren Jahrhunderten ein Wachhäuschen befand, von dem aus die Stadt in unsicheren Zeiten bewacht wurde, oder ist damit das Hüten von Tieren auf dem Berg gemeint, da er wohl schon immer ziemlich kahl und wiesenreich war.
Erst im 19. Jahrhundert wurde der Berg bepflanzt mit verschiedenen Nadelhölzern und vor allem Rhododendren und Azaleen, die mit ihrer Blüte immer noch zahlreiche Menschen anlocken. (Misanthropen sollten den Hutberg im Mai meiden.) Die Anpflanzungen sind Teil einer städtischen Parkanlage, die Johann Wilhelm Weisse (1846-1916) anlegen ließ. Zum Parkareal gehören außerdem der Lessingturm und die Hutbergbühne. Die Hutbergbühne wurde ursprünglich als Gedenkstätte für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges und Thingplatz in den Jahren 1934 bis 1937 erbaut. Heute ist sie eine der größten Freilichtbühnen Sachsens und man kann an einem Ort, der ehemals Naziaufmärschen diente, zur Musik der größten Schlagerstars Deutschlands abfeiern. (Ich frage mich, wie groß die theoretische Schnittmenge beider Veranstaltungskonzepte wäre?)