Bitterfeld-Wolfen

Für dieses Wortspiel gibt es zehn von zehn möglichen Kreativpunkten. Ich habe peinlich lange gebraucht, um es zu verstehen.

Geburtstag: 2007 (Fusionierung der beiden Städte und der umliegenden Gemeinden)

Einwohner: 40.964

Bekannt für: die schmutzigste Stadt Europas

„Warum is’n das hier eigentlich so grau in grau? Da hätt‘ ich ja gleich in Bitterfeld bleiben können!“ Dieses Zitat aus einem sehr guten deutschen Film beschreibt das ganze Dilemma, welches Bitterfeld-Wolfen hat. Nämlich die Vorurteile, die sich mit dieser Doppelkleinstadt in Sachsen-Anhalt verbinden. Dreckige Luft, Schmutz, Industriekloake – kurzum kein sehr lebens- oder überhaupt besuchenswerter Ort. Doch wie das immer so mit Vorurteilen ist, entstehen sie meistens aus der Ferne und können durch Direktkontakt abgebaut werden. (Diese Weisheit gilt übrigens für alle Lebensbereiche.) Und weil ich diese Vorurteile ohne Frage selbst hatte, bin ich hingefahren um mich selbst vom Gegenteil zu überzeugen.

Natürlich ist Bitterfeld-Wolfen kein romantisches Postkartenmotiv, wie beispielsweise Quedlinburg. Man findet (fast) keine romantischen Altstadtgässchen, denn obwohl Bitterfeld und Wolfen schon ein paar Jahrhunderte auf dem Buckel haben, wurden sie hauptsächlich vom 19. und 20. Jahrhundert geprägt. Diese Prägung schlägt sich nieder in den Hinterlassenschaften der modernen Architektur und der Industriekultur. Nein, es ist noch nicht alles blankpoliert und aufgehübscht in Bitterfeld-Wolfen. Vielleicht muss es das auch gar nicht. Der Dreck gehört zur Geschichte dieser Region und um aus der Geschichte etwas zu lernen, muss sie sichtbar bleiben.

Mögen die Touristen auf diese schöne Region regnen, wie einst die Kohleasche. Und möge sich, anstatt vom Vorurteil der Grauschattierungen in der Luft, wieder das Zitat aus der Regionalsage mit Bitterfeld-Wolfen verbinden: „Seh’n wir uns nicht in dieser Welt, so seh’n wir uns in Bitterfeld.“

Was gibt’s da zu sehen?

Bitterfeld

Geburtstag: 1224 (urkundliche Ersterwähnung)

Einwohner: 15.250

Das Rathaus

Seit seiner urkundlichen Ersterwähnung entwickelte sich Bitterfeld zu einer kleinen Stadt mit verschiedenen Handwerken und guter Verkehrsanbindung. Durch den Wiener Kongress wurde die Stadt 1816 Teil der Provinz Sachsen. Bereits seit dem Jahr 1785 wurde im Kreis Bitterfeld Braunkohle gefördert, aber erst mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert begann der Aufschwung der Stadt und die Entwicklung zu einem Industriestandort. Sichtbar ist dies auch durch die Architektur im Stadtzentrum, die von der Neogotik geprägt ist. Das Rathaus wurde 1863 bis 1865 nach den Plänen von August Friedrich Ritter erbaut.

Historisches Rathaus in Bitterfeld

Historisches Rathaus in Bitterfeld

Das Kreismuseum

Das Kreismuseum in Bitterfeld befindet sich im Gebäude der 1839 erbauten ehemaligen Mädchenschule. Schon im Jahr 1901 wurden hier die stadtgeschichtlichen Sammlungen untergebracht, die seit 1936 das gesamte Gebäude einnehmen.

Das Museum ist ein hübsches kleines Stadt-/Heimatmuseum. Neben den üblichen Bereichen über die Anfänge der Stadt und die verschiedenen Handwerke. Außerdem erfährt man noch so einige Besonderheiten über Bitterfeld. Habt ihr gewusst, dass der meiste Bernstein, der in der DDR zu Schmuck verarbeitet wurde, aus Bitterfeld stammt? Am Anfang der 70er Jahre sah es nämlich dünn aus mit Bernstein im VEB Ostseeschmuck in Ribnitz-Damgarten. Man fand heraus, dass Bitterfeld auch über Bernsteinvorkommen verfügte und so begann der Abbau, der erst im Jahr 1990 eingestellt wurde. (Tja, eure teuren Ostseemitbringsel kommen leider alle aus Bitterfeld.)

Neben der Geschichte gibt es auch eine – für so ein kleines Museum sehr schöne und nicht gruselige – Naturkundeabteilung. Interessant, welche Tierüberreste man so beim Braunkohle abbauen findet.

Unweit vom Rathaus direkt am Markt gelegen findet man das Kreismuseum Bitterfeld

Die Ev. Stadtkirche St. Antonius

Die Kirche wurde in den Jahren 1905 bis 1910 an der Stelle eines Vorgängerbaus erbaut.

Die Kath. Pfarrkirche Herz Jesu

Diese Kirche wurde im Jahr 1896 errichtet. Der Glockenturm wurde allerdings erst im Jahr 1928 ergänzt und zu Beginn der 1990er Jahre erneuert.

Der Bitterfelder Bogen

Am Rand der Goitzsche, dem ehemaligen inzwischen gefluteten Tagebau,steht auf dem Bitterfelder Berg der Bitterfeld Bogen. Er wurde im Jahr 2006 eingeweiht. Den Entwurf, der an eine Baggerschaufel erinnern soll, stammt von Claus Bury. Der Bogen ist 28 Meter hoch und 84 Meter lang. Er ist komplett barrierefrei und durch den sanften Anstieg auch für Menschen mit Gehbeschwerden gut zu „erklimmen“. Man hat einen wunderbaren Blick über den See und über die Stadt. Bitterfeld, die Stadt am See! Wer hätte das gedacht?

Blick über Bitterfeld vom Bitterfelder Bogen

Der Große Goitzschesee

Im Jahr 1998 begann man den ehemaligen Tagebau zu fluten. Er umfasst eine Fläche von 13,32 km². Das ganze umgebende Areal wurde als Naherholungsgebiet ausgebaut mit Seepromenaden und viel Platz für Festivals.

Fragerunde Bitterfeld: Was ist das?

Das ist das Gebäude der Sparkasse. Daran befinden sich Skulpturen und ich lehne mich mal so weit aus dem Fenster, dass es sich dabei um baugebundene Kunst aus der DDR-Zeit handelt. Mehr Infos welcome.

Mehr Infos hätte ich gerne auch zu diesem Gebäude.

Umseitig findet sich dann auch dieses schöne Kunstwerk.

Seh’n wir uns nicht auf dieser Welt …

 

… so seh’n wir uns in Bitterfeld

Ich habe auch noch andere hübsche Gebäude fotografiert, aber die alle zu posten, würde zu weit führen. Also, falls der Bitterfelder Leser in dieser Liste etwas vermisst und mich dahingehend mit Infos (und/oder Fachliteratur) versorgen könnte, wäre das wirklich hilfreich.

Wolfen

Geburtstag: 1400 (urkundliche Ersterwähnung)

Einwohner: 16.449

Das Rathaus

Dieses Gebäude ist erst seit dem Jahr 2010 das Rathaus von Bitterfeld-Wolfen. Seit seiner Erbauung in den Jahren 1936 bis 1939 nannte man es schlicht „Gebäude 0041“. Nach den Plänen des Architekten Adolf Herberger entstand das Hauptverwaltungs- und Forschungsgebäude der Filmfabrik Wolfen im neoklassizistischen Stil. Wenn Bürokratie ein Architekturstil wäre, dann wäre er Neoklassizismus. So ein wuchtiges Ungetüm. Es ist wirklich beeindruckend und einschüchternd, wie es da immer noch am Eingang zum Chemie-Park steht. Zum Glück ist es innen ein bisschen heller. Das Treppenhaus ist wunderschön und angenehm pastellig. (Die Frauenstatue davor soll wohl eine Chemiearbeiterin darstellen. Auch hier wären mehr Infos hilfreich.)

Das Industrie- und Filmmuseum Wolfen

Agfa und ORWO – das sind die beiden Marken, die sich sofort mit Wolfen verbinden (sollten). In einer der ehemaligen Produktionsstätten der Filmfabrik Wolfen, der Begießerei I, erfährt man alles über diesen Teil der Industriegeschichte. Die Maschinen sind noch im Original erhalten und vermitteln einen Eindruck, wie unglaublich aufwändig das Verfahren zur Herstellung von Filmen – u. a. für die Fotografie – war.

Im Jahr 1909 kaufte die Actien-Gesellschaft für Anilin-Fabrication (AgfA) mehrere Hektar Land in Wolfen und machte die Region damit endgültig zu einem der wichtigsten Chemiestandorte in Europa.

Nach Kriegsende 1945 wurde die Filmfabrik von US-Streitkräften besetzt. Unter der danach folgenden sowjetischen Besatzung wurden fast die gesamte Produktion als Reparationszahlung demontiert und in die Sowjetunion gebracht.

Im Jahr 1958 wurde mit der Gründung der VEB Film- und Chemiefaserwerk Agfa Wolfen die Filmherstellung wieder angekurbelt. Patent- und Markenstreitigkeiten mit dem westdeutschen Pendant führten im Jahr 1964 zu einer Markenumbenennung in ORWO (Original Wolfen). Die Rohfilme wurden jahrelang nach dem Agfa-Verfahren hergestellt, auch dann noch, als es vom Kodak-Verfahren entwicklungstechnisch überholt wurde. Die technische Stagnation, die politische Wende 1989/90 und die kühle Abwicklung der Produktionsstätten durch die Treuhand machten den Chemiestandort Wolfen wieder so klein und unbedeutend, wie vor der Industrialisierung.

Um das Museumsgebäude herum liegt zwar viel Brachfläche, aber es sind auch noch viele Gebäude der ehemaligen Filmfabrik zu erkennen.

Im Museum findet sich auch ein Modell der ehemaligen Filmfabrik.

Im Museum findet sich auch ein Modell der ehemaligen Filmfabrik.

Zwischen dem Rathaus und dem Filmmuseum liegt noch dieses schöne Ensemble, dass den alten Eingang zur Filmfabrik markiert.

 

Das Städtische Kulturhaus

Das Kulturhaus wurde im Jahr 1927 für die Belegschaft der Agfa errichtet und dient bis heute als Veranstaltungsort.

Das Kino

Im Jahr 1956 wurde dieses Gebäude als damals modernstes Kino Deutschlands durch den Architekten Hugo Seitz errichtet.

Der Gedenkstein

Seit 1925 war die Agfa Teil der I. G. Farben. Dieser Zusammenschluss aus acht großen Chemieunternehmen hatte seine größte „Blüte“ während der NS-Zeit, als Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge in der Produktion eingesetzt wurden (aber hat natürlich wieder mal niemand von gewusst). So auch in Wolfen, wo man zum Gedenken an zwei namentlich unbekannte KZ-Insassen, die am 15. April 1945 erschossen wurden, dieses Denkmal aufstellte.

Die Reichsheimstättensiedlung

Auch die Architektur der, die Filmfabrik umgebenden, Stadt beeinflusste der Aufschwung. Noch heute sind die verschiedenen Wohnsiedlungen, die für die ehemalige Belegschaft gebaut wurden, zu erkennen. In den Jahren 1937 bis 1939 errichtete man die sog. Reichsheimstätten-Siedlung“ (heute Wolfen-Süd)

Ein Kommentar

    Manja

    Liebe Cindy,
    ein sehr schöner Artikel. Ja, leider haben es Städte wie Bitterfeld-Wolfen recht schwer, den nichts ist beständiger als ein doofes Vorurteil.
    Bei dem Gebäude der Sparkasse würde ich sagen, dass es in den 30ern entstanden ist. Es ist irgendwas zwischen Neuem Bauen und Expressionismus. Aber ich weiß es auch nicht genau … ich bin da auch nur bei Vermutungen.
    Liebe Grüße
    Manja

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